Am nächsten Tag setzte ich mich bereits in aller Herrgottsfrühe in Richtung Flughafen in Bewegung. Genauer genommen ließ ich mich in Bewegung setzen. In einem Land, in dem man nicht mal erahnen kann, welche Bedeutung die Worte haben, lernt man sehr schnell, wildfremden Menschen zu vertrauen. Nicht, dass man eine wirkliche Wahl hätte… Ich vertraute also dem freundlich lächelnden Hotelpagen, dass er dem nicht minder freundlich lächelnden Taxifahrer verständlich gemacht hatte, wohin er mich zu verfrachten habe. Als dieser mich dann im Irgend- oder Nirgendwo vor einer verschlossene Türe absetzte machten sich erste Zweifel an der Fruchtbarkeit dieser Kommunikation breit. Zweite und dritte kamen schnell dazu, denn der Eingang zum Monorail-Bahnhof wollte sich partout nicht blicken lassen. Der große Weiße, der irgendeine seltene Art von Treppenphobie hatte ließ sich von mir einmal rund um das Gebäude schleppen. Ganz offensichtlich hatte er in den letzten Tagen zu allem Überfluss einige Pfunde zugelegt. Verdenken konnte ich es nicht wirklich, denn der Arme musste ja wie es für Koffer nun mal leider üblich ist, tagelang mutterseelenallein im Hotelzimmer rum liegen.
Der richtige Eingang zum Bahnhof lag lustigerweise genau an der gegenüberliegenden Seite des Bahnhofs. [Ich meine dieses andere lustig, das sich einem frühestens beim zweiten oder dritten Blick erschließt. Gelegentlich auch gar nicht.] Ich kaufte uns eine Fahrkarte und stellte mich anschließend brav in die lange Schlange der auf den nächsten Zug Wartenden. Auf dem Boden war eigens dafür eine Linie eingezeichnet, so dass wir beim Warten nahezu umfassend vor etwaigen Fehltritten geschützt waren. Der Zug fuhr ein und die Schlange setzte sich in Bewegung. Wie so häufig in Tokio passte weitaus mehr Mensch in den Zug als man zunächst für möglich gehalten hätte. Und auch viel mehr, als ich für angebracht hielt. Am Ende war der Zug zum Bersten voll und draußen hatte sich bereits brav eine neue Schlange aufgereiht. Während ich draußen noch allenfalls von vorne und hinten eingekesselt worden war, kam es im Zug aus allen Richtungen – begleitet von einer nicht wegzuleugnenden Knoblauchseligkeit.
Hinter mir stand einer, der offensichtlich das erste Mal in seinem Leben eine Stadt gesehen hat. Er fotografierte vom Zug aus aufgeregt mal in diese mal in jene Richtung, nicht ohne mir bei jeder Drehung seinen überdimensionalen Rucksack ins Kreuz zu hauen. Ein anderer Mitreisender, der die Attacken auf mein Kreuz mitbekommen hatte, versuchte, mich vor diesem ungehobelten Rempler zu retten – leider ohne jeden Erfolg. Der Landjapaner fotografierte und rempelte munter weiter. Wider Erwarten erreichten wir irgendwann den Flughafen, wo der Zug uns alle auf einmal mit Schwung ausspuckte. Als ich mich Richtung Ausgang bewegte und die Ausgangsschleusen erblicke fiel mir ganz schlagartig ein, dass ich meine Fahrkarte zwar in der Eingangsschleuse versenkt, sie aber vor lauter Irritation dort hatte stecken lassen. Und nun stand ich da: Keine Fahrkarte, kein japanisches Wort der Erklärung auf den Lippen. Ich schnappte mir den nächsten verfügbaren Aufseher und berichtete ihm auf Englisch von meinem Malheur. Er verstand kein Wort, ahnte aber aus naheliegenden Gründen, dass mein Problem irgendwas mit Zugfahren und Fahrkarten zu tun haben musste.
Im Nachhinein glaube ich, dass er mehr Angst vor mir hatte als ich vor ihm. Denn hätte er mit mir schimpfen, mich ermahnen, mich des Landes verweisen oder mich was-auch-immer-in-solchen-Situationen-in-Japan-üblich-ist wollen, so hätte er das auf Englisch tun müssen. So entschied er sich, mich durchzuwinken und schnell so zu tun, als sei ich ihm nie begegnet. Check-In, Lounge-In und Board-In(g) verliefen ohne weitere Vorkommnisse. Ich kehrte Japan den Rücken, um in China einzufallen.
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Bild: iMorpheus / Flickr