Zurück in Zuhausistan

„Zurück in Zuhausistan“ ist im Juni 2010 zuerst im stijlroyal Heimatmagazin erschienen, für das ich die Geschichte auch ursprünglich geschrieben hatte.

Wohntechnisch sind die ersten 18 eine einzige Aneinanderreihung von Kindergeburtstagen. So lange man die Füße unter den elterlichen Tisch stellt, muss man zwar nach der elterlichen Pfeife tanzen, man muss sich aber wenigstens nicht noch um die Beschaffung und Platzierung des besagten Möbelstückes kümmern. Kurz: Im Zuhausistan herrscht derjenige, der per definitionem dafür zuständig ist: Die Mamas und die Papas. Und etwaige andere Diktatoren.

Irgendwann ist der Spaß dann vorbei. Von einem Tag auf den anderen wird einem der  Koffer vor die Tür gestellt. Vertreibung aus dem Paradies. In die Arme der Schlange. Vielleicht mit ein bisschen treiben lassen. Vorbei ist es mit Toast Hawaii und gebügelten Handtüchern. Vorbei ist es mit Vorschriften und Regeln und dem Tisch, unter dem schon lange nicht mehr genügend Platz für all die Füße ist. Das ist  Emanzipation. Erwachsenwerden. Das große Tschüß. Mit Fanfaren und Knabenchor.

Das große Aufsichgestelltsein kann also beginnen. Endlich selbst über das eigene Leben entscheiden und sich nicht mehr dem Willen anderer beugen! Endlich das schmutzige Geschirr nach Herzenslust in der Küche stapeln, sich bei Bedarf ein Messer frei lecken und mit den liebevoll von Mutterhand befüllten Tupperdosen im Kühlschrank Schimmelpilzkulturen züchten! Endlich größere und kleinere Schmutzwäschehaufen lasziv in der Wohnung drapieren und auf versammelten Altpapier- und Altglasbeständen dem Spießbürgertum die Stirn bieten! Frei zu sein bedeutet, dem Chaos die Weltherrschaft zu übertragen. In einer freien, unmittelbaren und ganz und gar nicht geheimen Wahl. Und zwar gleich. Und allgemein.

Und wenn man dann im Schmutz und Chaos zu ertrinken droht und nach und nach sowohl des Luder- als auch des Lotterlebens überdrüssig geworden ist, dann fängt der Ernst des Lebens, vor dem uns nie jemand eindringlich genug gewarnt hatte, auf einmal mit ungebremster Härte an.

Das heimelige Eingelulltsein, das Muttis Kohlrouladen und Papis miefige Filzpantoffeln zusammen mit den in Eierlikör marinierten Lebensweisheiten der Großmutter ganz wie von selbst zu errichten vermochten, hat sich plötzlich ausgelullt. Zuhausistan ist Geschichte.

Was folgt, sind die verzweifelten Versuche mittels Topfpflanzen und Stofftieren, Postkarten aus Amerika und reizenden Schnappschüssen aller Familienmitglieder – einschließlich des bewackeldackelten Opel Kadetts – eine eigene, existierenswerte Existenz zu gründen. Topfpflanzen sind ohnehin die Mutter aller Existenzen. Und der Fels in der Brandung des unwirtlichen Alleinseins.

Und wenn auf einmal alles nichts ist, kommt Mutti mit dem Tisch an. Einem alten Esstisch, mit einer fiesen, klebrigen Lackschicht drauf. Eine schlafende Schönheit, die einfach noch ein bisschen gemocht werden will. Ein Schleifen und Schmirgeln später ist es dann so weit. Er darf einziehen. Ein eigener Tisch unter dem endlich wieder Platz für die eigenen Beine ist. Genügend Patz sogar, um sie munter hin und her zu schaukeln.

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