Von Filterkaffee und Schlagsahne

Kaffeepause

Für meine pubertäre Sozialisierung waren die Cafés meines Heimatortes im Rückblick wichtiger als der Besuch des ortsansässigen neusprachlichen Gymnasiums. Auf den kuscheligen Polsterbänken oder mit Kunstleder bezogenen Eisdielenstühlen dieser spießbürgerlichen Idylle verbrachte mein Hintern große Teile seiner Jugend, während meine jugendlichen Finger derweil an hübschen Mitteldeckchen und liebevoll dahin dekoriertem Blumenschmuck zubbelten.

Oft war das Café der einzige Ausweg. Und so führte jede Freistunde unweigerlich dazu, dass größere oder kleinere Jungmenschentrauben sich auf die etwa fünf zur Auswahl stehenden Cafés des Dorfes verteilten. Dabei waren die Regeln einfach: Offizielle Freistunden wurden an einem sonnigen Fensterplatz des Kaffeehauses im Dorfzentrum verbracht – wichtig war auch hier das Sehen und Gesehenwerden. Inoffizielle, selbstauferlegte Freistunden führten uns hingegen in die verwinkelten und dunklen Untiefen der gemeinhin etwas weniger populären Cafés, die sonst nur von alten Damen mit dunkelblauen oder braunen Hüten vor oder nach Kirchgängen und Beerdigungen aufgesucht wurden. Bei solchen Kaffeehausbesuchen ging es vor allem darum, herumstreunenden Eltern oder spionierenden Lehrkräften gekonnt zu entwischen, um sich nachher ob dieser reifen Leistung ins Fäustchen zu lachen.

Da saßen wir nun also in unseren Cafés und kamen uns schon mit 13 so wundervoll erwachsen vor. Damals fing das Erwachsensein noch mit dem Kaffeetrinken an und war vollzogen, wenn man bereit war, Milch und Zucker wegzulassen. Aber von „schwarz“ waren wir seinerzeit noch Lichtjahre entfernt.

Wir orderten bei beschürzten Häubchenträgerinnen je eine Tasse Kaffee mit Kaffeesahne und Zucker, so gut wie nie ein Kännchen (weil wir meistens drinnen saßen). Während man heute ob der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Kaffeegetränke nur all zu leicht den Überblick verlieren kann, gab es damals nur frisch gebrühten ehrlichen Filterkaffee, wahlweise mit oder ohne Koffein. In den besonders fortschrittlichen Häusern kam vielleicht noch der „Cappuccino“ hinzu, der sich vom Filterkaffee aber nur durch eine mit Kakaopulver bestäubte Schlagsahnehaube unterschied.

Überhaupt war früher mehr Schlagsahne. Denn an Tagen, wo wir die Sache mit dem Erwachsensein nicht ganz so wichtig nahmen und uns konsequenterweise statt des ehrlichen Filterkaffees einen nicht minder ehrlichen Kakao einverleibten, taten wir dies nicht zuletzt wegen der Unmengen an Schlagsahne, die zum Kakao auf einem kleinen Tellerchen dazu kredenzt wurden.

Da das Taschengeld knapp bemessen und immer schon lange vor dem Monatsende aufgebraucht war, wetteiferten wir darin, den Konsum eines Getränkes mit möglichst winzigen Schlucken so weit es ging in die Länge zu ziehen. Selten gönnten wir uns mehr als ein Getränk, auch wenn der Kaffeehausbesuch manchmal einen ganzen Vormittag einnahm. Bei den Häubchendamen waren wir nicht gerne gesehen: Wir konsumierten zu wenig, gaben kein Trinkgeld und hinterliessen die Ecken in denen wir uns fläzten regelmäßig wie einen Saustall. Und so legten sich nicht selten Stirnen in Falten, rutschten Mundwinkel nach unten und froren ganze Gesichter zu schauerlichen Fratzen, wenn die Schülerbrut wieder in die ein bisschen nach Pipi und Kölnisch Wasser duftende Kaffeehausruhe einfiel.

Uns machte das wenig aus. Unsere Cafébesuche waren für uns damals genau so wenig wegzudenken wie die Bravo und Formel1 mit Ingolf Lück. Zwischen Blümchentapete und Kuchentheke verarbeiteten wir unsere großen und kleinen Sorgen, den Ärger mit dem Lehrer, die schlechte Mathenote oder auch den Liebeskummer, der einfach nicht aufhören wollte. All das gehörte in die Dorfcafés genau so wie die Omas mit den blauen Hüten.

Cafés wie die, die ich in meiner Jugend besuchte, begegnen mir heute nur noch selten. Statt Filterkaffee gibt es Caramel Brulee Latte, statt Häubchendamen schnoddrige und gestresste Studenten, die sich ein paar Euro dazu verdienen wollen. Keine Blümchentapete, keine Mitteldecke und sicher keine Kännchen. Alles ist schicker, schnelllebiger und moderner, aber für die kleinen und großen Sorgen, wie man sie nur in den staubigen Ecken dunkler Cafés des Heimatdorfes vergraben kann, ist in den modernen Kaffeetempeln kein Platz mehr.

5 Kommentare

  1. Wir hatten keine Kaffekultur, als ich jung war. Vielleicht war es auch nur ich und meine zwei Freunde. Wenn ich mich richtig erinnere, sind die anderen regelmäßiger in Cafés gegangen. Auch in diesen selbstauferlegten Freistunden. Habe ich nie bekommen. Fast nie. War auch nur der Junge vom Land, der sich versuchte irgendwie zurecht zu finden. Mitgegangen wäre ich schon gerne. Manchmal.

    Jetzt in Wien ist es anders. Hier gibt es sie noch. Die Kaffeehäuser mit Blümchentapeten oder zumindest vom Rauch vergilbte Wände. Und unhöfliche Kellner. Die gehören hier dazu und verstören vor allem Touristen. Ich mag sie. Man kann stundenlang herumlümmeln, Zeitung lesen, auch wenn ich keine Zeitung lese, und mit Freunde reden oder schweigen.

    Ich kann mich aber auch mit diesen neuen, modernen Orten anfreunden. Mit dem Laptop dort sitzen und Texte schreiben.

  2. He …

    Bei Lichte Gilgen, im Schatten Ahrens … ?
    Liest sich aber ganz plastisch … zugegebenermaßen mehr für Leute, welche nich‘ ganz sachunkundig sind … ;-)
    Nett. Weiter so.

    1. Hallo H.,

      wenn Du auch aus E. an der S. bei K. kommen solltest, dann stufe ich Dich als „gewissermaßen“ sachkundig ein.

      Ich hoffe, Du meinst nicht dieses „nett“ und bedanke mich freundlich für das Kompliment ;)

      Deine M.

      1. He …

        Wieso […] “ bei K. “ ?? Wir woll’n den Lokalpatriotismus doch jetzt nicht kleiner als nötig reden bzw. schreiben.
        Nein, ich meinte nicht dieses „nett“.
        Alaaf,

        H.

  3. Das „zu wenig konsumieren“, es war die Generation, die dem hier Eintragenden folgte, die nervte, die „KiBas“ orderte, „Take That- Monster“ und andere Gestalten, die das Verschwinden de Stammpersonals in der Gastronomie erst einläutete und sich nun wundert…»oooh-keeiy« artikulierend, da gibt es Mickerlöhne.
    Schreibt die prä Lück Generation, also eher die THE WHO-my generation- Alan Bangs–….ergo: jammert nicht, lebt endlich wieder ungesund. Ich bin ja auch noch da. Und ich kann mir eine vor Angst um das Dasein abnippelnde Generation nicht leisten!
    Könnte zwar, aber uns haben die Riesters+Rürupps noch nicht süchtig machen können. Wir haben durch das Steueraufkommen doch erst…Studentenüberhang ermöglicht. Schön ist das nicht, so`ne Juristenschwemme…. was die noch kosten wird , dürfte `nen Krieg wert sein, deren Wertlosigkeit im Übermaß. Denn deren Kaffee darf ja nie werden…
    (Will keine Juristen kränken, aber ein Wesen für 118 Leute in Düsseldorf…….muss nich…nee..)

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